Dienstag, 18. Juni 2013

Römer, Ketzer und Kreuzfahrer


Eine Landstraßen-Tour durch Südfrankreich

Von Heiko Weckbrodt

Eine Reise in die sommerliche Provence, jenseits der überteuerten und überlaufenen Côte d’Azur, ist ein wenig wie die Überraschungsei-Werbung im Fernsehen: Drei in einem – Kultur pur, Badevergnügen und ein originäres Speis-und-Trank-Vergnügen. Besonders empfehlenswert ist die Tour gen Südfrankreich  in der Vor- oder Nachsaison, wenn nicht allzu viele Touristen unterwegs sind, in jeder Stadt spontan ein Hotel zu finden ist und das Licht und die Farben der Landschaft jenen Glanz annehmen, der einst die französischen Expressionisten anzog. Dabei gilt die Devise: Der Weg ist das Ziel auf dieser Suche nach den Spuren von Römern, Ketzern und Kreuzfahrern in einem der ältesten Kulturlandstriche Europas.



Antikes Theater in Orange
Das antike Theater in Orange

Ein guter Einstiegspunkt für diese Spurensuche ist die 30.000-Seelen-Stadt Orange, die gut über die – mautpflichtige – Autoroute du Soleil (Sonnenautobahn) zu erreichen ist. In Orange steht eines der schönsten Theater der römischen Antike. Eine überlebensgroße Statue von Kaiser Augustus, des mutmaßlichen Stadtgründers, schaut dort auf ein Halbrund, in dem einst bis zu 10.000 römische Kolonisten allerlei Komödien, Tragödien und pornografischen Darbietungen zuschauten. Heute nutzen die Franzosen den antiken Bau für sommerliche Theater- und Musikfestivals.



Papstpalast in Avignon
Der Papstpalast in Avignon


Die nächste Station führt uns auf der Landstraße N 7 etwa 30 Kilometer südwärts und rund 1300 Jahre weiter in der Geschichte: Avignon an der Spitze des Rhône-Deltas war 1309 bis 1417 Sitz der Päpste, die sich in Rom nicht mehr sicher wähnten. In dieser Zeit bauten die Päpste den Bischofssitz zu einem festungsartigen Palast aus, der noch heute zu besichtigen ist – das Interieur fiel freilich über die Jahrhunderte hinweg Plünderern zum Opfer. Einen längeren Spaziergang sind auch die Gärten des Papstpalastes und die mittelalterliche Innenstadt wert, die von einer fast durchgängig erhaltenen Stadtmauer umgeben ist. In Chansons verewigt ist auch die halbe Brücke von Avignon, zu deren Füßen sich einst das Bordellviertel der Stadt befand.



Die halbe Brücke über die Rhone
Die halbe Brücke über die Rhone








Als nächstes führt die N 570 knapp 40 Kilometer südwärts nach Arles und wieder zurück zu den alten Römern. Die haben in der malerischen Rhône-Stadt ein imposantes Amphitheater hinterlassen. Während das Theater in Orange wirklich dem Theater im heutigen Sinne gewidmet war, war das bis zu 140 Meter messende Oval in Arles eher als Zirkus gedacht – mit Tier- und Gladiatorenkämpfen. Heute werden dort Stierkämpfe ausgetragen.



Arles Amphitheater
Amphitheater in Arles
Wer etwas mehr Zeit mitbringt, kann von Arles einen Abstecher nach Nimes (hat ebenfalls ein Amphitheater) und zum nahen Pont du Gard machen – noch vor wenigen Jahren konnte man auf dem gewaltigen Aquäduktoben spazieren gehen.









Wer von all den Besichtigungen eine Pause braucht, wendet sich alternativ auf der
D 570 gen Mittelmeer – der Endpunkt Saintes Mariesde la Mer ist außerhalb der Saison ein beschauliches Fischer- und Yachtendorf, im Hochsommer leider rammelvoll.




Strand Sete
Einer der Strände bei Sete


Durch das idyllische Landschaftsschutzgebiet Camargue geht es nun westwärts, an Montpellier vorbei und dann auf die N 112, die das Herz jedes Badefreundes höher schlagen lässt:Ab Sete führt die Landstraße über Dutzende Kilometer direkt vorbei an (kostenlosen) Stränden – einfach nur das Auto abstellen, an den Strand und ab ins Wasser.



Via Domitia Narbonne
Die Via Domitia in Narbonne


Hinter Beziers kann man die N 112 für einen kleinen Umweg nach Narbonne gen Süwesten verlassen – die 50.000-Einwohner-Stadt war einst eine strategisch wichtige Zwischenstation auf der alten Römerstraße Via Domitia zwischen Mittelmeer und Atlantik. Die Narbonner haben Teile dieser Holperpiste – auf der kein modernes Auto mehr als ein paar Meter weit kommen würde – ausgegraben und zur Besichtigung freigegeben. In Deutschland würde dieses Kulturerbe wahrscheinlich unter Glas geschützt sein. Auf dem Marktplatz von Narbonne hingegen kann man mit eigenen Füßen antike Straßenbauweise erlaufen.




Katharer Carcassonne
Vertreibung der Katharer. Repro: M. Anastácio/Wiki


Spätestens hier, nahe der Grenze zu Spanien, begegnen einem allerorten Hinweise auf die Glaubenskriege des Hochmittelalters. War es noch vor gut 15 Jahren undenkbar, dass mitten in dieser erzkatholischen Gegend mit den Ketzern von einst geworben wird, so haben dies die Franzosen nun regelrecht zu einer Marketingmasche aufgezogen: Schilder am Wegesrand fordern immer wieder den Touristen auf: Besuchen Sie das Land der Katharer! So auch in der ehemaligen Ketzer-Hochburg Narbonne.
Dazu muss man wissen, dass die Katharer (die Reinen), auch Albingenser (nach dem Ort Albi) genannt, eine Art hochmittelalterliche Gegenbewegung zur katholischen Kirche waren, die zeitweise Zehntausende Anhänger in Frankreich, Deutschland, Spanien und anderen Ländern hatten. Die Bewegung wandte sich gegen alles Weltliche, setzte auf Laienprediger und verwarf den Reichtum und die Macht des Klerus. Von "Katharer" kommt auch das deutsche Wort "Ketzer" – die Kirche sah in dieser Bewegung eine der schwersten Bedrohungen dieser Zeit und ließ sie in blutigen Kreuzzügen ausmerzen.




Carcassonne Burg Festung
Die innere Burg der Festung Carcassonne. Foto: hw


Wir aber fahren weiter auf der N 113 stracks gen Westen und erreichen Carcassonne: Die Stadt hat eine der wohl besterhaltenen hochmittelalterlichen Burgen Europas, die nach zahlreichen Erweiterungen gegen Ende des 13. Jahrhunderts als uneinnehmbar galt. Bis die Kanonen erfunden wurden, machten alle Belagerungsarmeen einen weiten Bogen um Carcassonne, dessen Wachen jedes Heer bis zu den Pyrenäen hin entdecken konnten.

Obwohl nur 44.000 Bürger fassend, empfängt die Stadt jährlich ein Mehrfaches an Touristen und zeigt, wie clever die Franzosen inzwischen mit ihren Sehenswürdigkeiten zuwuchern wissen. Innerhalb des äußeren Burgrings liegt eine vollständige mittelalterliche Kleinstadt, gespickt mit Museen, Boutiquen und Souvenirläden, die in vielen Fällen mehr als nur den üblichen Andenkenramsch, sondern teilweise auch handwerklich anspruchsvolle Arbeiten verkaufen. Für den Besuch der inneren Burg muss man Eintritt zahlen, sollte daran aber nicht sparen: Erst dort wird dem Besucher so richtig das Ausmaß und die Raffinesse der Verteidigungsanlagen klar.



Kathedrale Albi Sainte Cécile
Die wehrhaft anmutende Kathedrale von Albi


Die letzte Station führt 100 Kilometer westwärts in das bereits erwähnte Albi. Wir kehren dafür wieder auf die N 112 zurück, die direkt in die von den Römern gegründete Stadt führt. Mitten im Zentrum thront das wohl größte Backstein-Gebäude Europas: Die Kathedrale Sainte Cecile. Mit ihren bis zu sechs Meter dicken Mauern ähnelt der Bau äußerlich mehr einer Festung denn einer Kirche. Im Innern hingegen ist sie ganz gotische Kathedrale, reich verziert, himmelwärts strebend. Bemerkenswert sind die Altarmalereien, die dem mittelalterlichen Menschen in aller Ausführlichkeit die Folterqualen von Hölle und Fegefeuer vor Augen führen.

   
Reise-Tipps

Route: Ab Straßburg gerechnet, hat diese Tour eine Länge von reichlich 1200 Kilometern, für die man etwa eineinhalb Wochen einrechnen sollte, je nach Ausgangsort in Deutschland. Bis Orange sollte man durchaus die Autobahn nehmen - große Teile dieser Strecke sind eh nicht so sehenswert. 



Reiseroute

Essen: Fast jedes Restaurant bietet ein günstiges Tagesgericht (Plat du Jour) und ein dreigängiges Menü des Tages an. Besonders schmackhaft sind oft die Entrecotes und die Lammsteaks (d’agneau); weit verbreitet sind in Mittelmeernähe auch Muscheln als Tagesgericht. Gerade in Südfrankreich kann man aber nicht jederzeit speisen: Warme Mahlzeiten gibt es meist nur in Restaurants und oft nur etwa von 12 bis 14.30 Uhr und dann wieder ab 18 oder 19 Uhr. In Restaurants muss man allerdings auch mindestens eine Hauptspeise bestellen. Wer nur Wein oder Kaffee trinken will, wird weggeschickt. Für den Hunger zwischendurch gibt es Bistros, die meist belegte Baguettes anbieten. Einem Café im deutschen Sinne am meisten vergleichbar sind die Salons de The, die Brasserien sind vor allem fürs Frühstücken geeignet.

Hotel: In der Hochsaison (Juli/August) sind viele Hotels in Meernähe ausgebucht, außerhalb der Saison ist aber eine Vorbestellung selten notwendig.War das Frühstück (Petit Dejeuner) früher im Preis inbegriffen, wird es heute meist gegen Aufschlag (fünf bis zehn Euro) angeboten.

Auto: Die meisten Autobahnen (Tempo 130) in Frankreich sind mautpflichtig – Kleingeld sollte man parat halten. Derzeit (2011) sind ca. sieben Cent je Kilometer fällig. Dafür sind viele der kostenlosen Landstraßen mit „N“-Kennung autobahnähnlich ausgebaut – Tempo 90.