Eine Landstraßen-Tour durch Südfrankreich
Von Heiko Weckbrodt
Eine
Reise in die sommerliche Provence, jenseits der überteuerten und
überlaufenen Côte d’Azur, ist ein wenig wie die Überraschungsei-Werbung
im Fernsehen: Drei in einem – Kultur pur, Badevergnügen und ein
originäres Speis-und-Trank-Vergnügen. Besonders empfehlenswert ist die
Tour gen Südfrankreich in der Vor- oder Nachsaison, wenn nicht allzu
viele Touristen unterwegs sind, in jeder Stadt spontan ein Hotel zu
finden ist und das Licht und die Farben der Landschaft jenen Glanz
annehmen, der einst die französischen Expressionisten anzog. Dabei gilt
die Devise: Der Weg ist das Ziel auf dieser Suche nach den Spuren von
Römern, Ketzern und Kreuzfahrern in einem der ältesten Kulturlandstriche
Europas.
Ein
guter Einstiegspunkt für diese Spurensuche ist die 30.000-Seelen-Stadt
Orange, die gut über die – mautpflichtige – Autoroute du Soleil
(Sonnenautobahn) zu erreichen ist. In Orange steht eines der schönsten
Theater der römischen Antike. Eine überlebensgroße Statue von Kaiser
Augustus, des mutmaßlichen Stadtgründers, schaut dort auf ein Halbrund,
in dem einst bis zu 10.000 römische Kolonisten allerlei Komödien,
Tragödien und pornografischen Darbietungen zuschauten. Heute nutzen die
Franzosen den antiken Bau für sommerliche Theater- und Musikfestivals.
Die nächste Station führt uns auf der Landstraße N 7 etwa 30
Kilometer südwärts und rund 1300 Jahre weiter in der Geschichte:
Avignon an der Spitze des Rhône-Deltas war 1309 bis 1417 Sitz der
Päpste, die sich in Rom nicht mehr sicher wähnten. In dieser Zeit bauten
die Päpste den Bischofssitz zu einem festungsartigen Palast aus, der
noch heute zu besichtigen ist – das Interieur fiel freilich über die
Jahrhunderte hinweg Plünderern zum Opfer. Einen längeren Spaziergang
sind auch die Gärten des Papstpalastes und die mittelalterliche
Innenstadt wert, die von einer fast durchgängig erhaltenen Stadtmauer
umgeben ist. In Chansons verewigt ist auch die halbe Brücke von Avignon,
zu deren Füßen sich einst das Bordellviertel der Stadt befand.
Als nächstes führt die N
570 knapp 40 Kilometer südwärts nach Arles und wieder zurück zu den
alten Römern. Die haben in der malerischen Rhône-Stadt ein imposantes
Amphitheater hinterlassen. Während das Theater in Orange wirklich dem
Theater im heutigen Sinne gewidmet war, war das bis zu 140 Meter
messende Oval in Arles eher als Zirkus gedacht – mit Tier- und
Gladiatorenkämpfen. Heute werden dort Stierkämpfe ausgetragen.
Amphitheater in Arles |
Wer von all den Besichtigungen eine Pause braucht, wendet sich alternativ auf der
D
570 gen Mittelmeer – der Endpunkt Saintes Mariesde la Mer ist außerhalb
der Saison ein beschauliches Fischer- und Yachtendorf, im Hochsommer
leider rammelvoll.
Durch
das idyllische Landschaftsschutzgebiet Camargue geht es nun westwärts,
an Montpellier vorbei und dann auf die N 112, die das Herz jedes
Badefreundes höher schlagen lässt:Ab Sete führt die Landstraße über
Dutzende Kilometer direkt vorbei an (kostenlosen) Stränden – einfach nur
das Auto abstellen, an den Strand und ab ins Wasser.
Hinter
Beziers kann man die N 112 für einen kleinen Umweg nach Narbonne gen
Süwesten verlassen – die 50.000-Einwohner-Stadt war einst eine
strategisch wichtige Zwischenstation auf der alten Römerstraße Via
Domitia zwischen Mittelmeer und Atlantik. Die Narbonner haben Teile
dieser Holperpiste – auf der kein modernes Auto mehr als ein paar Meter
weit kommen würde – ausgegraben und zur Besichtigung freigegeben. In
Deutschland würde dieses Kulturerbe wahrscheinlich unter Glas geschützt
sein. Auf dem Marktplatz von Narbonne hingegen kann man mit eigenen
Füßen antike Straßenbauweise erlaufen.
Spätestens
hier, nahe der Grenze zu Spanien, begegnen einem allerorten Hinweise
auf die Glaubenskriege des Hochmittelalters. War es noch vor gut 15
Jahren undenkbar, dass mitten in dieser erzkatholischen Gegend mit den
Ketzern von einst geworben wird, so haben dies die Franzosen nun
regelrecht zu einer Marketingmasche aufgezogen: Schilder am Wegesrand
fordern immer wieder den Touristen auf: Besuchen Sie das Land der
Katharer! So auch in der ehemaligen Ketzer-Hochburg Narbonne.
Dazu muss man wissen, dass die Katharer (die Reinen), auch Albingenser (nach dem Ort Albi) genannt, eine Art hochmittelalterliche Gegenbewegung zur katholischen Kirche waren, die zeitweise Zehntausende Anhänger in Frankreich, Deutschland, Spanien und anderen Ländern hatten. Die Bewegung wandte sich gegen alles Weltliche, setzte auf Laienprediger und verwarf den Reichtum und die Macht des Klerus. Von "Katharer" kommt auch das deutsche Wort "Ketzer" – die Kirche sah in dieser Bewegung eine der schwersten Bedrohungen dieser Zeit und ließ sie in blutigen Kreuzzügen ausmerzen.
Dazu muss man wissen, dass die Katharer (die Reinen), auch Albingenser (nach dem Ort Albi) genannt, eine Art hochmittelalterliche Gegenbewegung zur katholischen Kirche waren, die zeitweise Zehntausende Anhänger in Frankreich, Deutschland, Spanien und anderen Ländern hatten. Die Bewegung wandte sich gegen alles Weltliche, setzte auf Laienprediger und verwarf den Reichtum und die Macht des Klerus. Von "Katharer" kommt auch das deutsche Wort "Ketzer" – die Kirche sah in dieser Bewegung eine der schwersten Bedrohungen dieser Zeit und ließ sie in blutigen Kreuzzügen ausmerzen.
Wir
aber fahren weiter auf der N 113 stracks gen Westen und erreichen
Carcassonne: Die Stadt hat eine der wohl besterhaltenen
hochmittelalterlichen Burgen Europas, die nach zahlreichen Erweiterungen
gegen Ende des 13.
Jahrhunderts als uneinnehmbar galt. Bis die Kanonen erfunden wurden,
machten alle Belagerungsarmeen einen weiten Bogen um Carcassonne, dessen
Wachen jedes Heer bis zu den Pyrenäen hin entdecken konnten.
Die
letzte Station führt 100 Kilometer westwärts in das bereits erwähnte
Albi. Wir kehren dafür wieder auf die N 112 zurück, die direkt in die
von den Römern gegründete Stadt führt. Mitten im Zentrum thront das wohl
größte Backstein-Gebäude Europas: Die Kathedrale Sainte Cecile. Mit
ihren bis zu sechs Meter dicken Mauern ähnelt der Bau äußerlich mehr
einer Festung denn einer Kirche. Im Innern hingegen ist sie ganz
gotische Kathedrale, reich verziert, himmelwärts strebend. Bemerkenswert
sind die Altarmalereien, die dem mittelalterlichen Menschen in aller
Ausführlichkeit die Folterqualen von Hölle und Fegefeuer vor Augen
führen.
Route: Ab
Straßburg gerechnet, hat diese Tour eine Länge von reichlich 1200
Kilometern, für die man etwa eineinhalb Wochen einrechnen sollte, je
nach Ausgangsort in Deutschland. Bis Orange sollte man durchaus die
Autobahn nehmen - große Teile dieser Strecke sind eh nicht so
sehenswert.
Essen: Fast
jedes Restaurant bietet ein günstiges Tagesgericht (Plat du Jour) und
ein dreigängiges Menü des Tages an. Besonders schmackhaft sind oft die
Entrecotes und die Lammsteaks (d’agneau); weit verbreitet sind in
Mittelmeernähe auch Muscheln als Tagesgericht. Gerade in Südfrankreich
kann man aber nicht jederzeit speisen: Warme Mahlzeiten gibt es meist
nur in Restaurants und oft nur etwa von 12 bis 14.30 Uhr und dann wieder
ab 18 oder 19 Uhr. In Restaurants muss man allerdings auch mindestens
eine Hauptspeise bestellen. Wer nur Wein oder Kaffee trinken will, wird
weggeschickt. Für den Hunger zwischendurch gibt es Bistros, die meist
belegte Baguettes anbieten. Einem Café im deutschen Sinne am meisten
vergleichbar sind die Salons de The, die Brasserien sind vor allem fürs
Frühstücken geeignet.
Hotel: In
der Hochsaison (Juli/August) sind viele Hotels in Meernähe ausgebucht,
außerhalb der Saison ist aber eine Vorbestellung selten notwendig.War
das Frühstück (Petit Dejeuner) früher im Preis inbegriffen, wird es
heute meist gegen Aufschlag (fünf bis zehn Euro) angeboten.
Auto: Die
meisten Autobahnen (Tempo 130) in Frankreich sind mautpflichtig –
Kleingeld sollte man parat halten. Derzeit (2011) sind ca. sieben Cent
je Kilometer fällig. Dafür sind viele der kostenlosen Landstraßen mit
„N“-Kennung autobahnähnlich ausgebaut – Tempo 90.