Die Burgbaustelle Guédelon. Fotos: hw |
Bauen à la Mittelalter
Stellen
Sie sich vor, Sie müssen Essen für 1000 hungrige Mäuler zubereiten,
haben aber statt einer Großküche nur ein offenes Feuer im Wald brennen.
Oder Sie sollen eine Hütte bauen, doch alles, was Sie an Werkzeug haben,
ist ein Faustkeil – Akkuschrauber und Motorsägen sind tabu. Und schon
kann man sich recht gut in die 50 Männer und Frauen hineinversetzen, die
im burgundischen Guédelon in Mittelfrankreich eine mittelalterliche
Burg bauen - mit mittelalterlichen Methoden.
Hinter all
dem Tun der Männer und Frauen im groben Sackleinen steckt indes keine
Askese, sondern „experimentelle Archäologie“, man könnte es auch
empirische Altertumsforschung nennen. Ein Konzept, wie es zum Beispiel
Thor Heyerdahl einsetzte, als er frei von moderner Technologie
Schilfboote und Wikingerboote baute, um den Beweis anzutreten, dass die
Nordmannen Amerika bereits lange vor Kolumbus entdeckt haben konnten. Zu
denken sei auch an die Versuche diverser Wissenschaftler, die
Bautechniken für die ägyptischen Pyramiden zu rekonstruieren oder an das
schwedische Schaudorf Fotevikens, in dem Leben und Arbeit in einer Wikingersiedlung nachgestellt werden.
Hinter dem
französischen Versuch, hochmittelalterliche Bautechniken
wiederzubeleben, stecken der Enthusiast Michel Guyot und der Architekt
Jacques Moulin, die es satt hatten, immer nur alte Schlösser und Burgen
zu restaurieren. Sie begannen, Freiwillige und Geld zu sammeln, um eine
mittelalterliche Burg mit mittelalterlichen Methoden zu bauen.
Inzwischen
ist ihr Projekt ein Selbstläufer, der nicht mehr auf staatliche
Förderung angewiesen ist, sondern sich größtenteils aus den
Eintrittsgeldern Hunderttausender Besucher finanziert, die die
ungewöhnliche Baustelle scharenweise heimsuchen. Auffällig ist die
starke Kinderpräsenz auf dem Gelände: Schulklassen wie
Kindergartengruppen pilgern Bus auf Bus nach Gudélon, lassen sich vom
Schmied die alten Werkzeugen erklären, schauen den Ziegelbrennern bei
der Arbeit zu, basteln in speziellen Werkstätten hölzerne Maßlehren, wie
sie im Mittelalter – im größeren Maßstab – zum Beispiel für den
Gewölbebau eingesetzt wurden, brüllen im Chor „Plus vite! Plus vite!“
(Schneller! Schneller!), wenn sich der Tretkran am Burgpallas in
Bewegung setzt – und haben offenbar viel Spaß dabei. Kein Wunder: Dieses
Projekt sucht in Europa seinesgleichen. Heiko Weckbrodt
- Guedelon liegt an der D 965 nahe der Gemeinde Treigny
- Baustart war 1997 (bzw. 1229), Bauende soll 2023 (bzw. 1255) sein
- Auf der Baustelle selbst leiten rund 32 Festangestellte Dutzende Freiwillige an und kümmern sich um die pädagogischen Projekte für Schulklassen
- Die Burg soll letztlich einen ummauerten Innenhof mit Wehrgängen, Brückentor und Ausfallpforte, einen Burgfried, ein Herrenhaus (Pallas) und einen Brunnen umfassen, dahinter schließt sich eine hölzerne Motte (Not-Fort) an.
- Der Eintritt kostet neun, erm. sieben Euro
- Öffnungszeiten: Juli/August: tgl. 10-19 Uhr, außerhalb der Saison nur bis 17.30 Uhr und mittwochs geschlossen, Nov.-März kein Zutritt
- Für die Besichtigung sollte man ca. 1,5 bis 2 h einplanen
- Anfahrt mit dem Auto: im Navi „F 89520 Treigny“ eingeben und dort der Ausschilderung folgen bzw. GPS-Koordinaten :3°09'17'' Ost, 47°34'53" Nord
- Weitere Informationen: www.guedelon.fr und http://de.wikipedia.org/wiki/Guedelon
Nächste Station: Die Schlösser der Loire
Zurück zu Reise-Oigers Heimatseite